McKinsey und spirituelle Gesundheit? Ja, eine große Studie – aber das haben sie nicht berücksichtigt

Ich werde sehr hellhörig, wenn sich krasse Gegensätze im Arbeitskontext auftun, so wie die News einer internationalen Unternehmensberatung mit dem Fokus auf spiritueller Gesundheit.

Ich meine, McKinsey und Sinn im Leben… echt jetzt?

Und dann werde ich neugierig, weil ich es selbst liebe, Ungewöhnliches zu verbinden (nicht umsonst halte ich zum wiederholten Mal mein Seminar zu Werte- und Sinnorientierung in der Wirtschafts- und Arbeitswelt). Vielleicht stimme ich nicht mit allem überein, aber in meistens gibt es in diesen Spannungsfeldern etwas zu entdecken.

So auch in diesem Fall, wenn McKinsey plötzlich über mentale Gesundheit und Sinn im Leben berichtet (siehe 🔎 Aus der Praxis). Als Logotherapeutin und promovierte Betriebswirtin kann und will ich das so nicht stehen lassen und biete eine Einordnung (siehe 🚀 Meaning Matters) mit Rückbezug auf moderne Wissenschaften, eigene Erfahrungen und die Logotheapie mit Viktor Frankls Gedankengut.

Let’s read & lead!

 

IN A NUTSHELL

1. McKinsey untersucht spirituelle Gesundheit: nur eine neue Perspektive auf ein altes Thema?

McKinsey hat eine umfassende Studie zur spirituellen Gesundheit veröffentlicht, basierend auf Daten von über 41.000 Menschen aus 26 Ländern. Die Generation Z (13-24 Jahre) steht im besonderen Fokus und ist überdurchschnittlich stark vertreten. Die Ergebnisse zeigen, dass spirituelle Gesundheit – verstanden als Sinn im Leben und Verbundenheit mit etwas Größerem – eng mit mentaler, sozialer und körperlicher Gesundheit verknüpft ist.

2. Die Erkenntnisse sind kongruent mit anderen Forschungsergebnissen: Sinnerleben und Gesundheit sind eng miteinander verknüpft

Wusstest du, dass ein starkes Gefühl von Sinnhaftigkeit nicht nur dein geistiges Wohlbefinden, sondern auch deine körperliche Gesundheit fördern kann? Studien zeigen, dass Menschen, die Sinn im Leben erfahren, körperlich aktiver sind, weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben und sogar länger leben. Sinn ist also kein esoterischer Luxus, sondern essenziell für deine Gesundheit.

3. Generation Z und die Suche nach Sinn: Herausforderungen und Chancen

Die Gen Z zeigt laut der McKinsey-Studie einen signifikanten Mangel an spiritueller, mentaler und sozialer Gesundheit. Aus meiner Sicht kein Zufall: in jungen Jahren ist es oft schwer, einen klaren Lebenssinn zu finden. Doch gerade hier liegt eine große Chance: Unternehmen und andere Stakeholder können Räume schaffen, in denen (junge) Menschen reflektieren und ihren eigenen Weg zu einem sinnvollen Leben finden können.

🔎 Aus der Praxis: McKinsey’s Studie zu spiritueller Gesundheit

Worum geht’s hier eigentlich?

McKinsey hat diese Woche einen Artikel mit Ergebnissen einer Studie zum Thema spirituelle Gesundheit veröffentlicht. Der Titel: “Auf der Suche nach sich selbst und etwas Größerem: Eine Erkundung der spirituellen Gesundheit” (engl. In search of self and something bigger: A spiritual health exploration).

  • Die Studie wurde von der not-for-profit Organisation McKinsey Health Institute durchgeführt (ich wusste nicht, dass es die überhaupt gibt)
  • Die Daten wurden im Jahr 2022 mit 41.060 Probanden erhoben und sind “self-reported” (die Leute füllen also einen Fragebogen aus)
  • Die Teilnehmenden kommen aus 26 verschiedenen Ländern
  • Ein Teil der Bevölkerung, nämlich die Gen Z (Personen zwischen 13 und 24 Jahren), sind bewusst überrepräsentiert mit knapp 17.000 Personen

Rein statistisch gesehen haben wir also einen ganz guten Querschnitt durch verschiedene Nationalitäten und Altersgruppen mit einem Fokus auf der Gen Z. Allerdings bedeutet “self-reported” auch, dass es keine weiteren Messpunkte gab, also bspw. Beobachtungen oder physische Indikatoren.

So viel zum Set-Up.

 

 

Was kam dabei ‘raus?

Die Ergebnisse der Studie werden in dem Artikel so zusammengefasst:

  1. Spirituelle Gesundheit bedeutet, einen Sinn im Leben zu haben, ein Gefühl der Verbundenheit mit etwas, das größer ist als man selbst, und eine Idee von Sinn im Leben. Die Suche nach diesem Sinn ist mit einer starken mentalen, sozialen und körperlichen Gesundheit verbunden (Hinweis: insgesamt wurden diese vier Komponenten von Gesundheit in der Studie erhoben).
  2. Obwohl die Bewertung der spirituellen Gesundheit je nach Alter und Standort sehr unterschiedlich ausfällt, ergab die Studie, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten über alle Generationen hinweg angab, spirituelle Gesundheit sei für sie „etwas“ bis „extrem“ wichtig.
  3. Soziale, öffentliche und private Stakeholder können Wege finden, um Menschen dabei zu helfen, einen Raum für Reflexion und Austausch über ihr Leben zu finden. Dazu gehören auch Arbeitgebende, die den Menschen helfen wollen, einen Sinn in ihrer Arbeit zu finden.

 

Weitere Aspekte der Studie

“Spirituelle Gesundheit” ist für die meistens von uns noch schwer zu greifen und nicht leicht zu definieren. Es geht um eine Komponente, die über unser rein physisches und psychisches Wohlbefinden hinausgeht. Klar ist: Gesundheit ist mehr als das reibungslose Funktionieren unseres Körpers.

Wichtig ist hierbei, dass es nicht zwingend um das Praktizieren von religiösen Ritualen oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft geht, wenngleich dies ein Teil sein kann. In dem Artikel von McKinsey steht, dass spirituelle Gesundheit “nicht unbedingt mit religiösen Überzeugungen verbunden, sondern eher mit dem Sinn des eigenen Lebens, einem umfassenden Gefühl der Verbundenheit mit etwas, das größer ist als man selbst, und einem starken Gefühl der Zielstrebigkeit“.

Es scheint, dass die Gen Z (vor allem im Vergleich zu den anderen Generationen) einen großen Mangel an mentaler, sozialer und – eben auch – spiritueller Gesundheit hat. Ob das ein Zufall ist? Gleichzeitig gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen dem Erleben von “spiritueller Gesundheit” und anderen Aspekten von Gesundheit.

Will heißen: Menschen, die Sinn im Leben und ein Gefühl von Verbundenheit zu etwas Größerem als sie selbst erfahren (so die Definition von spiritueller Gesundheit), sind in Summe auch gesünder.

 

Was machen wir mit diesen Erkenntnissen?

Als Logotherapeutin und promovierte Betriebswirtin, die sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Werte und Sinn auseinandersetzt, kann ich so das nicht stehenlassen. Gerade die moderne Wissenschaft, ebenso wie Experten mit interdisziplinärem Hintergrund und auch die Logotherapie selbst helfen, diese Erkenntnisse besser und umfassender zu verankern. Deswegen die folgende Einordnung.

 

 

🚀 Meaning Matters: eine Einordnung der Studienergebnisse zu spiritueller Gesundheit

 

1. Schon Viktor Frankl wusste: die Erfahrung von Sinn und Verbundenheit fördert unsere Gesundheit.

Viktor Frankl sprach oft davon, dass eine Sinn-Leere uns Menschen krank macht (er nannte dieses Erleben auch ein “existentielles Vakuum”). Im Gegensatz dazu ist das in der Studie beschrieben Gefühl von Verbundenheit zu etwas Größerem als einem selbst genau das, was den Menschen ausmacht.

  • Selbsttranszendenz, wie von Frankl beschrieben, bezieht sich darauf, dass das Menschsein immer über sich selbst hinaus auf etwas verweist, das nicht wieder es selbst ist – sei es ein Sinn, den man verwirklicht oder die Hingabe an eine Sache oder eine andere Person.
  • Die Logotherapie betont die Selbsttranszendenz als einen wesentlichen Bestandteil der menschlichen Existenz und hebt hervor, dass wahre Erfüllung nur dann erreicht werden kann, wenn man sich über die eigenen Bedürfnisse und Interessen hinaus für etwas Größeres einsetzt.
  • Diesem Gedanken folgend ist es nur logisch, dass (auch spirituelle) Gesundheit mit dem Gefühl von Verbundenheit oder gar Selbsttranszendenz zu tun hat.

Die Erkenntnis aus der Studie, dass die Erfahrung von Sinn im Leben zu erhöhter Gesundheit beiträgt, ist also nicht neu.

Bestätigung finden wir auch von dem Medizinprofessor Tobias Esch in seinem Buch “Wofür stehen Sie morgens auf?”. Er exploriert neben der körperlichen, psychischen und sozialeben Ebene von Gesundheit auch eine vierte Ebende, nämlich die von Bedeutsamkeit und Sinn:

“In der Folge schlug ich schließlich vor, dem allgemeinen Gesundheitsverständnis, also der bisher dreidimensionalen Definition von Gesundheit, jene vierte Dimension auch formal hinzuzufügen: die spirito-kulturelle Dimension, hier zusammengefasst als die subjektive oder Bedeutungsdimension. Mit einem Augenzwinkern beschreibe ich die Gesundheit nunmehr als bio-psycho-sozio-spirito-kulturell. Unsere Forschungen bestätigen mittlerweile diesen Ansatz. (…)

In der vierten Dimension geht es nun um das Erleben von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit, beides stellvertretend für das Gefühl der Verbundenheit. Gesund wäre demnach, wer sich als kohärent und resonant mit der Welt, mit ihr auch im Inneren verbunden und stimmig fühlt.“

 

 

2. Die moderne Wissenschaft zeigt längst: Sinn ist kein Eso-Kram, sondern (über-)lebenswichtig!

Ich kann Menschen verstehen, die gerne Zahlen, Daten und Fakten sehen wollen – insbesondere dann, wenn es um scheinbar abstrakte Themen wie Sinn und spirituelle Gesundheit geht.

Das Schöne ist, dass wir diese (alten und neuen) Insights über den Zusammenhang von Gesundheit und Sinnerfahrungen jetzt auch durch moderne Forschung stützen können. Here we go.

Ein paar Beispiele aus der Wissenschaft:

  • Ein ausgeprägtes Gefühl für Sinn im Leben steht in Verbindung mit verbesserter Gesundheit und Verhaltensweisen, einschließlich erhöhter körperlicher Aktivität (Hooker & Masters, 2016), weniger Schlaganfällen (Kim et al., 2013), weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Cohen et al., 2016) und sogar einem geringerem Sterberisiko (Alimujiang et al., 2019).
  • Das Erleben von Sinn ist auch für eine gesunde psychische Funktionsfähigkeit, einschließlich des Gedächtnisses und allgemeiner kognitiver Fähigkeiten (Lewis et al., 2017), sowie für die psychische Widerstandsfähigkeit über die gesamte Lebensspanne (Feder et al., 2009) von entscheidender Bedeutung.
  • Auf der anderen Seite des Spektrums wird ein geringes Maß an Sinnerleben mit verschiedenen psychischen Störungen in Verbindung gebracht (Goodman et al., 2018).

 

3. Die Gen Z leidet unter einem besonderem Mangel an spiritueller Gesundheit – really?

Wenn, wie in der Studie geschehen, “spirituelle Gesundheit” beschrieben wird als “einen Sinn im Leben zu haben, ein Gefühl der Verbundenheit mit etwas, das größer ist als man selbst, und eine Idee von Sinn im Leben“, dann ist für mich völlig klar, dass die Gen Z sich weniger “spirituell gesund fühlt” als die anderen Generationen.

Wer wusste schon im Teenie-Alter, was ihm Sinn im Leben gibt oder wann und wie sie sich besonders zu etwas Größerem als ihr selbst verbunden fühlt? Ich bestimmt nicht. Ist nicht gerade diese Phase im Leben eine, in der Vieles (wenn nicht alles) infrage gestellt wird?

Fun Fact: schaut man genauer in die Daten, wird schnell klar, dass die drei Komponten mentale, soziale und spirituelle Gesundheit über die Bevölkerungsgruppen hinweg ansteigen. Will heißen: je älter, desto mehr weiß man, was einem Sinn im Leben gibt. Für mich recht logisch.

Dazu passt auch die neurowissenschaftliche Sicht auf drei Arten Glück, die üblicherweise mit den Lebensphasen einhergeht. Viele Menschen erleben erst mit dem Alter das, was als Glückseligkeit beschrieben wird und an Selbsttranszendenz grenzt. Mehr dazu in meinem Newsletter zum Thema Glück.

 

4. Arbeitgebende können Räume schaffen, um Sinn zu erleben – und das sollten sie auch tun!

Klar ist, dass Sinn nicht von außen verordnet kann. Das liegt auch daran, dass Sinn ein zutiefst individuelles Erleben ist.

Wenn es in der Studie nun heißt, “Soziale, öffentliche und private Stakeholder können Wege finden, um Menschen dabei zu helfen, einen Sinn und Raum zum Nachdenken über ihr Leben zu finden”, dann kann und muss ich das doppelt unterstreichen und mit Ausrufezeichen versehen.

Mehr denn je leiden heutzutage viele Menschen an einem Mangel an Sinn, wie es auch schon Viktor Frankl beschrieben hatte. Viele Klienten, mit denen ich arbeite, haben alle materiellen Bedürfnisse (über-)erfüllt und sagen mir ganz direkt “Ich fühle mich total leer, ich sehe in all dem keinen Sinn”.

Dass wir gesamtgesellschaftlich und gerade als Führungskräfte oder Arbeitgebende noch mehr Räume schaffen sollten, in denen Menschen dazu reflektieren und sich austauschen können, erscheint mir eine logische Folgerung.

Nicht umsonst habe ich dieses Jahr mit meinen zwei Co-Autoren ein Buch geschrieben, indem es darum geht, wie agile Führung nicht nur Methoden (agile doing), sondern vor allem die Entwicklung und Förderung eines wertebasierten Mindsets (agile being) umfasst. Es geht um mehr Sinnorientierung, auch und gerade in der Arbeitswelt. Wie das gelingen kann? Hier gibt’s mehr Details dazu.

 

 

Ein paar Take-Aways

Spirituelle Gesundheit verstanden als Sinn im Leben und Verbundenheit zu etwas größerem Ganzen ist ein altes Thema – und gewinnt jetzt wieder an neuer Bedeutung, gesellschaftlich und wissenschaftlich.

Unsere Gesundheit hat viele Facetten, die sich allesamt wechselseitig bedingen. Unser Wohlbefinden und unsere Resilienz sichern wir nachhaltig nur, wenn wir alle Aspekte berücksichtigen.

Möglicherweise gibt es Unterschiede zwischen Sinnerfahrungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Aber entlastend scheint auch zu sein, dass wir mit der Lebenserfahrung an Glückseligkeit und Sinnhaftigkeit im Leben gewinnen.