Was die Influencerin Laura Seiler und ich gemeinsam haben – und was uns trennt

Die Frage “Arbeitest du mit der zusammen?” erreichte mich vor einer Woche per WhatsApp. Verlinkt war ein Instagram-Post von Influencerin Laura Seiler, der die Grafik eines Abreißzettels zeigte: „Nimm, was du brauchst“.

Warum die Frage nach einer Kooperation?

Vermutlich, weil ich selbst gut zwei Wochen vorher über meinen Account @meaningandmore ein Foto des Abreißzettels geteilt hatte, den ich mit eigenen Illustrationen und kleinen Übungen für Pausen im Alltag gestaltet hatte. Der Titel? Nimm’ dir, was du brauchst.

Die kurze Antwort: Nein, wir arbeiten nicht zusammen.

Wie es zu dieser frappierenden Ähnlichkeit der beiden Posts kommt, kann ich mir nicht erklären. Laura übrigens auch nicht: Auf meine direkte Frage, die nur in den Kommentaren stellen konnte, bekam ich zwar ein Like-Herzchen, aber keine Antwort.

Ein Schelm, wer denkt, dass Lauras Post eine bewusste Kopie meiner Arbeit sein könnte (gleichwohl das Thema Plagiate bei Social Media Content groß zu sein scheint)!

Die längere Antwort: folgt in diesem Newsletter.

Uns beide verbindet vieles in unserer Arbeit. Und mehr Sachen trennen uns. Nehmen wir die beiden Instagram-Posts als Beispiel, um einige Dinge zu verdeutlichen.


Für mehr Unterstützung durch innere Arbeit

Nach allem, was ich gesehen und gelesen habe, haben Laura und ich gemeinsam, dass wir mit unserer Arbeit Menschen helfen und Gutes tun wollen.

Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen möchten wir andere auf dem Weg zu einem gesunden Lebensstil und mehr Wohlbefinden durch innere Arbeit unterstützen.

  • Einerseits wollen wir Menschen ermutigen, sich auch herausfordernden Themen zuzuwenden, denn wir sind überzeugt, dass wir viele Ressourcen in uns tragen. Je klarer wir unsere eigenen Prägungen, Glaubenssätze und Muster erkennen, desto besser können wir mit ihnen arbeiten oder sie überwinden.
  • Andererseits wollen Laura und ich beide Wege aufzeigen und konkrete Hilfestellungen geben, um Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen. Das können bspw. Übungen wie Meditationen oder Atemtechniken sein.

Im Fall der beiden Instagram-Posts war es die wohlwollende Aufforderung, sich das zu nehmen, was man gerade braucht. Und das kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, deshalb gibt es jeweils verschiedene Optionen (zufällig genau fünf in beiden Posts).

Unser Ansatz ist jedoch ein ganz anderer.


Was Influencerin Laura Seiler und ich gemeinsam haben - und was uns trennt | MEANING + More

Collage mit Screenshots von Instagram-Posts (Dr. Nina Bürklin)


Schnelles Glück oder tiefer Sinn: Was macht ein gutes Leben aus?

Wenn wir von Wohlbefinden sprechen, ist ein gelingendes Leben nicht weit weg. Viele glauben, dass ein gutes Leben mehr mit Glück (engl. happiness) als mit Sinn (engl. meaning) zu tun hat.

Es ist eine dieser Fragen, über die sich seit Jahrtausenden viele Philosophen (und andere kluge Menschen) den Kopf zerbrochen haben, Stichwort: eudiamonia vs. hedonia.

Auch die moderne Forschung von Roy F. Baumeister und Kollegen zeigt, dass es sich um zwei grundverschiedene Dinge handelt. Glücklich sein und das Leben als sinnvoll empfinden überschneiden sich, aber es gibt auch wichtige Unterschiede.

Was also führt zu einem gelungenen Leben?

Ich selbst gehöre zum “Team Meaning” und bin überzeugt, dass ein gutes Leben nicht immer nur aus dem Schönen, Leichten und Angenehmen besteht, sondern dass wir dafür wachsen müssen — auch und gerade durch Krisen, die wir durchleben.

Das Leben verlangt uns etwas ab, wir müssen uns engagieren. Und das gelingt dann besonders gut, wenn wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und unser Leben aktiv gestalten (siehe auch unten: Menschenbild), wenn wir uns also von einer Sinnorientierung leiten lassen.


Langsames Glück (aka Sinnerleben) erfordert Engagement

Die Philosophin Rebekka Reinhard nutzt andere Begriffe. Sie vergleicht schnelles und langsames Glück und gibt damit Hinweise auf ein gutes Leben:

Jedes Glück, das sofort gute Laune macht, ist schnelles Glück. Es kommt schnell, ist aber auch schnell wieder vorbei. Daneben existiert still und leise das langsame Glück. Langsames Glück ist unspektakulär, dafür aber wenig störanfällig. Wenn Sie seinen Wert erkennen, begleitet es Sie in allem, was Sie tun, denken und fühlen. (…) Langsames Glück verlangt lebenslanges Engagement von Hirn und Herz. Schnelles Glück will man haben, langsam glücklich wird man.

— Rebekka Reinhard, Die Kunst, gut zu sein

Die gleiche Haltung hatte ich auch bei der Entwicklung meines Abreißzettels. Während die Optionen des Abreißzettels bei Laura schlicht “Magie”, “Fokus” oder “Ruhe” beinhalten, gibt es in meinem Post jeweils eine konkrete Übung pro Stichwort, um den Transfer in den Alltag noch mehr zu erleichtern.

Stimmt, diese 10-12 Worte müssen gelesen und – noch krasser – tatsächlich umgesetzt werden. Wir müssen uns engagieren, um von einem “weiten Blick” oder einem “ruhigen Atemzug” zu profitieren. Die kurze Stille, das bewusste Lächeln oder ein ruhiger Herzschlag kommen nicht von selbst.

In Lauras Caption steht lediglich der Hinweis “Kommentier’s unten, damit es zu dir kommen kann”. Inwiefern ein Kommentar von mir unter Lauras Post zu mehr Fokus bei mir führen sollte, verstehe ich nicht.

Es scheint einfacher und/oder bequemer zu sein, etwas in den sozialen Medien zu kommentieren, als sich beispielsweise 30 Sekunden Zeit für eine bewusste Atemtechnik oder eine vielfach erprobte Achtsamkeitspraxis zu nehmen.

Während die Leser meines Posts also im besten Fall ihre Sinne geschärft und sich einen Moment der Ruhe gegönnt haben, haben mittlerweile über 700 von Lauras Followern einen Kommentar hinterlassen.

Möge die Magie mit ihnen sein.


Freiheit oder Bestimmung durch’s Universum: Wie unser Menschenbild unsere Arbeit prägt

Ich kann die Sehnsucht nach Einfachheit Komplexitätsreduktion in unserer heutigen Welt gut nachvollziehen. Wer von uns hat sich nicht schon einmal gewünscht, dass alles einfacher wäre: entweder schwarz oder weiß, entweder gut oder böse. Doch so leicht ist es leider nicht.

In meiner Arbeit stelle ich mich dieser Herausforderung immer wieder.

  • Ich versuche einerseits, die oft abstrakten Begriffe der Logotherapie nach Viktor Frankl (meiner philosophischen und therapeutischen “Heimat”) zu erklären und mit alltagsnahen Beispielen zu füllen, so auch in diesem Newsletter.
  • Zum anderen bemühe ich mich, wo immer möglich, aktuelle Forschungsergebnisse einfließen zu lassen, sie entsprechend einzuordnen und etwas umgangssprachlicher zu formulieren.

Deswegen war es mir wichtig, in der Caption meines Instagram-Posts auf die weiterführende Website zu verweisen, auf der neben weiteren Übungen auch eine ausführliche Erklärung mit wissenschaftlichem Hintergrund zu finden ist.

In der Caption von Lauras Post hingegen ist zu lesen, dass sie eine “Portion Magic” braucht. Es gibt aber keinen Hinweis, wie sie diese bekommt.

Gut möglich, dass sich unser Anspruch an einen Instagram-Post hier unterscheidet: schnelles vs. langsames Glück? Und auch gut möglich, dass ihr Beitrag deswegen über 4.000 Likes bekommt.


Wie wir auf die Welt schauen, so arbeiten wir auch

Ein klares Menschenbild zu haben, das ich meiner Arbeit zugrunde lege, erscheint mir elementar. Ich gehe sogar noch weiter: Ohne ein klares Menschenbild könnte ich meine Arbeit nicht machen.

Ich selbst durfte mir im Rahmen meiner 3,5-jährigen Ausbildung die Grundlagen der Logotherapie zu eigen machen und in weiteren Fortbildungen vertiefen. Dazu gehört auch die Haltung, dass wir verantwortlich sind: Das Leben stellt die Fragen und wir haben zu antworten.

Mensch sein heißt bewusst sein und verantwortlich sein. — Viktor Frankl

Drei Punkte sind in Summe streitbar, aber klar verankert in der Logotherapie:

  1. Freier Wille. Das Zitat bringt den Kern des Menschenbildes nach Frankl auf den Punkt, demzufolge wir Menschen freie und entscheidende Wesen sind. Konkret bedeutet es, dass wir nicht von außen bestimmt werden und dass wir uns zu einer gegebenen Situation immer so oder so einstellen können. Es heißt nicht, dass wir immer etwas aktiv steuern oder direkt beeinflussen können, sondern dass wir über unsere Haltung zu den Dingen entscheiden können.
  2. Der Wille zum Sinn. Laut Frankl ist Sinn die stärkste Motivationskraft des Menschen. Wir streben also danach, sinnerfüllt zu leben. Damit hebt er sich klar von seinen Vorgänger ab, die unsere Triebe (Freud; 1. Wiener Schule) oder unser Streben nach Macht (Adler; 2. Wiener Schule) als Grundmotivation menschlichen Handelns sehen.
  3. Sinn im Leben. Grundlage der Logotherapie ist, dass unser Leben immer Sinn in sich trägt. Das heißt nicht, dass es sich in jedem Moment sinnvoll anfühlt. Wohl aber bedeutet diese Auffassung, dass es uns (sofern wir nicht zu stark psychisch oder anderweitig eingeschränkt sind) zu jedem Zeitpunkt möglich ist, dem Leben einen Sinn abzuringen.

Es geht mir nicht drum, dass alle Leser dieses Artikels dem zustimmen oder die gleiche Haltung haben. Mir ist es wichtig, dieses explizite Menschenbild als Grundlage meiner Arbeit transparent zu machen und danach zu handeln.

Bei Laura konnte ich ein solches Menschenbild nicht entdecken. Bei vielen anderen Coaches und Therapeuten übrigens auch nicht.


Schneller Kommentar oder aktives Engagement: was zählt?

In einer Welt, die nach schnellen Lösungen und einfachen Antworten verlangt, ist es verlockend, sich auf das zu konzentrieren, was leicht und angenehm ist. Ein Like-Herzchen hier, ein schneller Kommentar dort.

Doch wahres Wachstum und tiefes, langfristiges Glück erfordern mehr. Sie verlangen Engagement, die Bereitschaft, sich immer wieder den Herausforderungen zu stellen und der Verantwortung für das eigene Leben gerecht zu werden. Sie verlangen, aktiv zu bleiben.

Um wirklich lebendig zu bleiben, müssen wir uns für Mut statt Bequemlichkeit entscheiden. Nur so können wir wachsen, aufsteigen und uns selbst herausfordern.

– Susan David, Emotionale Beweglichkeit

Menschen wie Laura und ich mögen auf den ersten Blick ähnliche Ziele verfolgen, doch unsere Ansätze könnten kaum unterschiedlicher sein.

Trotzdem bin ich überzeugt: Unsere jeweilige Intention ist genuin gut. Und so wird jede von uns genau die Menschen ansprechen und abholen, die von unseren jeweiligen Arbeit profitieren.

Mögen wir beide glücklich sein.

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