What the f*ck? Warum uns fragen hilft. Und fluchen auch.
Er kommt unscheinbar daher, der kleine Kringel über dem Punkt. Es kann Sätze verändern, aber auch Beziehungen oder das alltägliche Miteinander.
Das Fragezeichen ist vielleicht eines der mächtigsten Satzzeichen (wenn es so etwas überhaupt gibt), weil es Fragen ihren Charakter verleiht. Und Fragen können herausfordern, neue Einsichten generieren, Beziehungen (weiter-)entwickeln. Sie können vermeintlich klein und dann wieder groß sein, den Alltag umspannen und den Ursprung des Universums in Frage stellen.
Fragen sind mächtig. Wenn wir fragen, sind wir es auch, zumindest ein bisschen. Nicht umsonst heißt es oft: “Wer fragt, führt”.
Aber was für Fragen gibt es überhaupt (keine Angst, das wird keine Abhandlung über die deutsche Grammatik)? Wem sollen wir Fragen stellen? Und welche Bedeutung können Fragen haben?
Übrigens: kürzlich wurde ich von Magazin “Ethik Heute” zum Thema Weisheit befragt (wie auch drei andere Personen). Unter anderem dazu, wie wir uns der Weisheit im Alltag annähern können. Die Antworten findest du hier.
Fragen für Lebensführung – Allgemeine und ganz persönliche
Fragen können uns helfen, Entscheidungen im Leben zu treffen. Sie können uns helfen, unseren Alltag so zu gestalten, dass unsere Werte verwirklicht werden und wir Sinn erfahren.
Es gibt allgemeine Fragen, die sich im Prinzip jeder Mensch stellen kann.
Drei meiner Lieblingsfragen sind
- Was würdest du tun, wenn es einfach wäre? (großartige Frage von Tim Ferris, im Original: what would it look like if it were easy?)
- Wenn du es niemandem zeigen und niemandem davon erzählen könntest, würdest du es trotzdem tun?
- Was würdest du tun, wenn Geld keine Rolle spielen würde?
Dann gibt es spezifische Fragen, die (primär) nur für uns selbst relevant sind.
Richard Feynman, Physiker und Nobelpreisträger 1965, wurde und wird oft als Genie bezeichnet. Seinen Erfolg führte er darauf zurück, dass er seine Forschung und damit auch sein Leben auf bestimmte Fragen ausrichtete. Er machte es sich zur Gewohnheit, seine “12 Lieblingsprobleme” (engl. twelve favorite problems) aufzuschreiben und regelmäßig zu überprüfen.
Sie müssen ein Dutzend Ihrer Lieblingsprobleme ständig im Kopf behalten, auch wenn sie im Großen und Ganzen in einem schlafenden Zustand liegen werden. Jedes Mal, wenn Sie einen neuen Trick oder ein neues Ergebnis hören oder lesen, testen Sie es an jedem Ihrer zwölf Probleme, um zu sehen, ob es hilft. Hin und wieder wird es einen Treffer geben, und die Leute werden sagen: „Wie hat er das gemacht? Er muss ein Genie sein! (freie Übersetzung aus dem Englischen)
Mein Tipp: fang’ an und schreibe deine “Lieblingsprobleme” runter.
Du kommst nicht direkt auf 12? Auch okay, es bleibt genug zu tun, wenn du mit den ersten drei oder sechs startest…
Fragen für Erkenntnisgewinn: Was denkst du?
Fragen beschäftigen uns aber nicht erst seit der Neuzeit. Ganz im Gegenteil: Eine besondere Art der Gesprächsführung mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns basiert ganz auf Fragen. Die Rede ist vom Sokratischen Dialog.
Statt seinen Schülern “klassisch” Wissen durch Frontbeschallung zu vermitteln, stellte Sokrates ihnen viele Fragen, um den persönlichen Erkenntnisgewinn zu fördern.
In ihrem Buch Management by Sokrates haben die Autoren Wisniewski und Niehaus (2016) sieben Fragetypen dargestellt (S. 93 ff.). Ich habe sie hier einmal in meinen Worten zusammengefasst und Beispielfragen zum Thema (Selbst-)Führung gegeben.
1. Bedeutungsfragen
Die Fragen nach dem „Was“ zielen darauf ab, das Wesen und die Bedeutung einer Sache zu hinterfragen. Sie helfen, den Kern und die grundlegenden Prinzipien eines Themas zu erfassen. Beispiele jeweils nachfolgend.
- Was ist gute Führung?
- Was sind Beispiele für gute Selbstführung?
- Was ist die gesellschaftliche Verantwortung der Organisation?
2. Konkretisierungsfragen
Konkretisierungsfragen dienen dazu, allgemeine Aussagen in spezifische, erlebte Situationen zu übersetzen und so Klarheit zu schaffen.
- Was genau haben Sie erlebt, als Sie das Gefühl hatten, Ihre Selbstführung zu optimieren?
- Warum ist dies ein gutes Beispiel für die aktuelle Herausforderung im Team?
- Können Sie diese Überlegung näher beschreiben?
3. Unterscheidungsfragen
Diese Fragen klären Unterschiede in Wahrnehmungen und Bewertungen, um Nuancen und Details sichtbar zu machen.
- Worin unterscheidet sich Ihr Führungsstil von dem Ihrer Kollegen?
- Besteht diese Schwierigkeit immer oder gibt es Ausnahmen?
- Gibt es Situationen, in denen Ihre Selbstführung weniger effizient ist? Wenn ja, welche?
4. Hypothetische Fragen
Hypothetische Fragen eröffnen neue Perspektiven und ermöglichen das Denken in alternativen Szenarien. Im Coachingkontext werden sie auch oft als „Wunderfrage“ bezeichnet.
- Stellen Sie sich vor, in einem Jahr haben Sie alle Ihre persönlichen Entwicklungsziele erreicht, wie sieht Ihr Alltag dann aus?
- Angenommen, eine Wunschfee würde Ihnen drei Wünsche erfüllen, welche wären das?
- Angenommen, Sie sind ab morgen Firmeninhaberin. Was würde sich verändern?
5. Fragen zweiter Ordnung
Diese Fragen beziehen sich auf komplexe Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Akteuren. Sie reflektieren Selbst- und Fremdwahrnehmung und die entsprechenden Zuschreibungen.
- Was glauben Sie, würde Frau X zu diesem Problem sagen?
- Wie würde ein Außenstehender über Ihre Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Führungsperson sagen?
-
Wenn Herr Y hier wäre, was würde er uns bezüglich der bevorstehenden Neustrukturierung raten?
6. Ziel- und lösungsorientierte Fragen
Diese Fragen fokussieren sich auf Ziele und Lösungen und helfen, den Handlungsspielraum zu erkunden, in dem sie neue Handlungsalternativen und andere Denkweisen fördern.
- Welche Schritte sind zur Zielerreichung notwendig?
- Woran werden Sie im Arbeitsalltag merken, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben?
- Was möchten Sie konkret durch Ihre werteorientierte Führung erreichen?
7. Paradoxe Fragen
Paradoxe Fragen provozieren durch Überzeichnung und Zuspitzung und können so neue Erkenntnisse und Handlungsweisen stimulieren. Sie wirken durch die Kontrastierung eines Sachverhaltes bzw. zur Reflexion der „anderen“ Seite.
- Was können Sie tun, um sicherzustellen, dass Ihre Führung als völlig wertlos wahrgenommen wird?
- Was müssten Sie tun, damit Ihre Bemühungen zur Selbstführung garantiert scheitern?
- Wie könnten Sie Ihre Führung so gestalten, dass Ihre Mitarbeiter absolut unmotiviert wären?
Fragen zur Reflexion: Going Deep
Schließlich gibt es Fragen, die wir uns selbst (oder unseren Freunden) stellen können, bei denen es mehr um das Nachdenken als um eine einzige Erkenntnis geht.
Von diesen Fragen gibt es mindestens so viele, wie es Menschen auf der Welt gibt.
Zu Beginn der Pandemie hat die Bewegung “This Human Moment” nicht nur schöne Fragen aus der Poesie zusammengetragen, sondern auch eine Liste mit 53 Beautiful Questions for this Moment zusammengestellt.
Meine Favoriten aus dieser Liste?
- Welche Frage sind wir jetzt bereit zu stellen, die wir vorher nicht gestellt haben? (engl.: What question are we now willing to ask that we weren’t before?)
- Was sagt mir mein Körper? (engl.: What is my body telling me?)
- Wer werde ich, während ich tue, was ich tue? (engl.: Who am I becoming while I’m doing what I’m doing?)
And you, when will you begin that long journey into yourself? – Rumi
Fragen und Fluchen: Mehr Support geht nicht
Die Fähigkeit, gute Fragen zu stellen, scheint eine Superkraft zu sein. Sie kann uns zu mehr Klarheit, neuen Einsichten oder anderen Perspektiven verhelfen.
Fragen können uns in unserem Alltag in mindestens drei Aspekten unterstützen.
- Fragen können uns helfen, unseren Alltag nach bestimmten Werten auszurichten oder bessere Entscheidungen zu treffen.
- Fragen können uns auch helfen, Einsichten zu gewinnen oder eine neue Perspektive einzunehmen.
- Fragen können Reflexionsprozesse in Gang setzen, gemeinsam oder mit Freunden (bye bye Small Talk, hello Deep Talk!).
Und dann gibt es Fragen, die einfach nur ein impulsiver Ausruf sind, wie “What the f*ck?” oder “Was zum Teufel…?”. Wer glaubt, dass es sich dabei um unhöfliches Verhalten handelt, wird von der Wissenschaft eines Besseren belehrt.
Eine Studie mit über 250 Teilnehmenden konnte zeigen, dass Fluchen helfen kann, Stress abzubauen und sogar Symptome von Angst und Depressionen zu lindern.
Also: Worauf wartest du noch? Fang an zu fragen (und/oder zu fluchen..)!