Was die Influencerin Laura Seiler und ich gemeinsam haben – und was uns trennt

Die Frage “Arbeitest du mit der zusammen?” erreichte mich vor einer Woche per WhatsApp. Verlinkt war ein Instagram-Post von Influencerin Laura Seiler, der die Grafik eines Abreißzettels zeigte: „Nimm, was du brauchst“.

Warum die Frage nach einer Kooperation?

Vermutlich, weil ich selbst gut zwei Wochen vorher über meinen Account @meaningandmore ein Foto des Abreißzettels geteilt hatte, den ich mit eigenen Illustrationen und kleinen Übungen für Pausen im Alltag gestaltet hatte. Der Titel? Nimm’ dir, was du brauchst.

Die kurze Antwort: Nein, wir arbeiten nicht zusammen.

Wie es zu dieser frappierenden Ähnlichkeit der beiden Posts kommt, kann ich mir nicht erklären. Laura übrigens auch nicht: Auf meine direkte Frage, die nur in den Kommentaren stellen konnte, bekam ich zwar ein Like-Herzchen, aber keine Antwort.

Ein Schelm, wer denkt, dass Lauras Post eine bewusste Kopie meiner Arbeit sein könnte (gleichwohl das Thema Plagiate bei Social Media Content groß zu sein scheint)!

Die längere Antwort: folgt in diesem Newsletter.

Uns beide verbindet vieles in unserer Arbeit. Und mehr Sachen trennen uns. Nehmen wir die beiden Instagram-Posts als Beispiel, um einige Dinge zu verdeutlichen.


Für mehr Unterstützung durch innere Arbeit

Nach allem, was ich gesehen und gelesen habe, haben Laura und ich gemeinsam, dass wir mit unserer Arbeit Menschen helfen und Gutes tun wollen.

Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen möchten wir andere auf dem Weg zu einem gesunden Lebensstil und mehr Wohlbefinden durch innere Arbeit unterstützen.

  • Einerseits wollen wir Menschen ermutigen, sich auch herausfordernden Themen zuzuwenden, denn wir sind überzeugt, dass wir viele Ressourcen in uns tragen. Je klarer wir unsere eigenen Prägungen, Glaubenssätze und Muster erkennen, desto besser können wir mit ihnen arbeiten oder sie überwinden.
  • Andererseits wollen Laura und ich beide Wege aufzeigen und konkrete Hilfestellungen geben, um Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen. Das können bspw. Übungen wie Meditationen oder Atemtechniken sein.

Im Fall der beiden Instagram-Posts war es die wohlwollende Aufforderung, sich das zu nehmen, was man gerade braucht. Und das kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, deshalb gibt es jeweils verschiedene Optionen (zufällig genau fünf in beiden Posts).

Unser Ansatz ist jedoch ein ganz anderer.


Was Influencerin Laura Seiler und ich gemeinsam haben - und was uns trennt | MEANING + More

Collage mit Screenshots von Instagram-Posts (Dr. Nina Bürklin)


Schnelles Glück oder tiefer Sinn: Was macht ein gutes Leben aus?

Wenn wir von Wohlbefinden sprechen, ist ein gelingendes Leben nicht weit weg. Viele glauben, dass ein gutes Leben mehr mit Glück (engl. happiness) als mit Sinn (engl. meaning) zu tun hat.

Es ist eine dieser Fragen, über die sich seit Jahrtausenden viele Philosophen (und andere kluge Menschen) den Kopf zerbrochen haben, Stichwort: eudiamonia vs. hedonia.

Auch die moderne Forschung von Roy F. Baumeister und Kollegen zeigt, dass es sich um zwei grundverschiedene Dinge handelt. Glücklich sein und das Leben als sinnvoll empfinden überschneiden sich, aber es gibt auch wichtige Unterschiede.

Was also führt zu einem gelungenen Leben?

Ich selbst gehöre zum “Team Meaning” und bin überzeugt, dass ein gutes Leben nicht immer nur aus dem Schönen, Leichten und Angenehmen besteht, sondern dass wir dafür wachsen müssen — auch und gerade durch Krisen, die wir durchleben.

Das Leben verlangt uns etwas ab, wir müssen uns engagieren. Und das gelingt dann besonders gut, wenn wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und unser Leben aktiv gestalten (siehe auch unten: Menschenbild), wenn wir uns also von einer Sinnorientierung leiten lassen.


Langsames Glück (aka Sinnerleben) erfordert Engagement

Die Philosophin Rebekka Reinhard nutzt andere Begriffe. Sie vergleicht schnelles und langsames Glück und gibt damit Hinweise auf ein gutes Leben:

Jedes Glück, das sofort gute Laune macht, ist schnelles Glück. Es kommt schnell, ist aber auch schnell wieder vorbei. Daneben existiert still und leise das langsame Glück. Langsames Glück ist unspektakulär, dafür aber wenig störanfällig. Wenn Sie seinen Wert erkennen, begleitet es Sie in allem, was Sie tun, denken und fühlen. (…) Langsames Glück verlangt lebenslanges Engagement von Hirn und Herz. Schnelles Glück will man haben, langsam glücklich wird man.

— Rebekka Reinhard, Die Kunst, gut zu sein

Die gleiche Haltung hatte ich auch bei der Entwicklung meines Abreißzettels. Während die Optionen des Abreißzettels bei Laura schlicht “Magie”, “Fokus” oder “Ruhe” beinhalten, gibt es in meinem Post jeweils eine konkrete Übung pro Stichwort, um den Transfer in den Alltag noch mehr zu erleichtern.

Stimmt, diese 10-12 Worte müssen gelesen und – noch krasser – tatsächlich umgesetzt werden. Wir müssen uns engagieren, um von einem “weiten Blick” oder einem “ruhigen Atemzug” zu profitieren. Die kurze Stille, das bewusste Lächeln oder ein ruhiger Herzschlag kommen nicht von selbst.

In Lauras Caption steht lediglich der Hinweis “Kommentier’s unten, damit es zu dir kommen kann”. Inwiefern ein Kommentar von mir unter Lauras Post zu mehr Fokus bei mir führen sollte, verstehe ich nicht.

Es scheint einfacher und/oder bequemer zu sein, etwas in den sozialen Medien zu kommentieren, als sich beispielsweise 30 Sekunden Zeit für eine bewusste Atemtechnik oder eine vielfach erprobte Achtsamkeitspraxis zu nehmen.

Während die Leser meines Posts also im besten Fall ihre Sinne geschärft und sich einen Moment der Ruhe gegönnt haben, haben mittlerweile über 700 von Lauras Followern einen Kommentar hinterlassen.

Möge die Magie mit ihnen sein.


Freiheit oder Bestimmung durch’s Universum: Wie unser Menschenbild unsere Arbeit prägt

Ich kann die Sehnsucht nach Einfachheit Komplexitätsreduktion in unserer heutigen Welt gut nachvollziehen. Wer von uns hat sich nicht schon einmal gewünscht, dass alles einfacher wäre: entweder schwarz oder weiß, entweder gut oder böse. Doch so leicht ist es leider nicht.

In meiner Arbeit stelle ich mich dieser Herausforderung immer wieder.

  • Ich versuche einerseits, die oft abstrakten Begriffe der Logotherapie nach Viktor Frankl (meiner philosophischen und therapeutischen “Heimat”) zu erklären und mit alltagsnahen Beispielen zu füllen, so auch in diesem Newsletter.
  • Zum anderen bemühe ich mich, wo immer möglich, aktuelle Forschungsergebnisse einfließen zu lassen, sie entsprechend einzuordnen und etwas umgangssprachlicher zu formulieren.

Deswegen war es mir wichtig, in der Caption meines Instagram-Posts auf die weiterführende Website zu verweisen, auf der neben weiteren Übungen auch eine ausführliche Erklärung mit wissenschaftlichem Hintergrund zu finden ist.

In der Caption von Lauras Post hingegen ist zu lesen, dass sie eine “Portion Magic” braucht. Es gibt aber keinen Hinweis, wie sie diese bekommt.

Gut möglich, dass sich unser Anspruch an einen Instagram-Post hier unterscheidet: schnelles vs. langsames Glück? Und auch gut möglich, dass ihr Beitrag deswegen über 4.000 Likes bekommt.


Wie wir auf die Welt schauen, so arbeiten wir auch

Ein klares Menschenbild zu haben, das ich meiner Arbeit zugrunde lege, erscheint mir elementar. Ich gehe sogar noch weiter: Ohne ein klares Menschenbild könnte ich meine Arbeit nicht machen.

Ich selbst durfte mir im Rahmen meiner 3,5-jährigen Ausbildung die Grundlagen der Logotherapie zu eigen machen und in weiteren Fortbildungen vertiefen. Dazu gehört auch die Haltung, dass wir verantwortlich sind: Das Leben stellt die Fragen und wir haben zu antworten.

Mensch sein heißt bewusst sein und verantwortlich sein. — Viktor Frankl

Drei Punkte sind in Summe streitbar, aber klar verankert in der Logotherapie:

  1. Freier Wille. Das Zitat bringt den Kern des Menschenbildes nach Frankl auf den Punkt, demzufolge wir Menschen freie und entscheidende Wesen sind. Konkret bedeutet es, dass wir nicht von außen bestimmt werden und dass wir uns zu einer gegebenen Situation immer so oder so einstellen können. Es heißt nicht, dass wir immer etwas aktiv steuern oder direkt beeinflussen können, sondern dass wir über unsere Haltung zu den Dingen entscheiden können.
  2. Der Wille zum Sinn. Laut Frankl ist Sinn die stärkste Motivationskraft des Menschen. Wir streben also danach, sinnerfüllt zu leben. Damit hebt er sich klar von seinen Vorgänger ab, die unsere Triebe (Freud; 1. Wiener Schule) oder unser Streben nach Macht (Adler; 2. Wiener Schule) als Grundmotivation menschlichen Handelns sehen.
  3. Sinn im Leben. Grundlage der Logotherapie ist, dass unser Leben immer Sinn in sich trägt. Das heißt nicht, dass es sich in jedem Moment sinnvoll anfühlt. Wohl aber bedeutet diese Auffassung, dass es uns (sofern wir nicht zu stark psychisch oder anderweitig eingeschränkt sind) zu jedem Zeitpunkt möglich ist, dem Leben einen Sinn abzuringen.

Es geht mir nicht drum, dass alle Leser dieses Artikels dem zustimmen oder die gleiche Haltung haben. Mir ist es wichtig, dieses explizite Menschenbild als Grundlage meiner Arbeit transparent zu machen und danach zu handeln.

Bei Laura konnte ich ein solches Menschenbild nicht entdecken. Bei vielen anderen Coaches und Therapeuten übrigens auch nicht.


Schneller Kommentar oder aktives Engagement: was zählt?

In einer Welt, die nach schnellen Lösungen und einfachen Antworten verlangt, ist es verlockend, sich auf das zu konzentrieren, was leicht und angenehm ist. Ein Like-Herzchen hier, ein schneller Kommentar dort.

Doch wahres Wachstum und tiefes, langfristiges Glück erfordern mehr. Sie verlangen Engagement, die Bereitschaft, sich immer wieder den Herausforderungen zu stellen und der Verantwortung für das eigene Leben gerecht zu werden. Sie verlangen, aktiv zu bleiben.

Um wirklich lebendig zu bleiben, müssen wir uns für Mut statt Bequemlichkeit entscheiden. Nur so können wir wachsen, aufsteigen und uns selbst herausfordern.

– Susan David, Emotionale Beweglichkeit

Menschen wie Laura und ich mögen auf den ersten Blick ähnliche Ziele verfolgen, doch unsere Ansätze könnten kaum unterschiedlicher sein.

Trotzdem bin ich überzeugt: Unsere jeweilige Intention ist genuin gut. Und so wird jede von uns genau die Menschen ansprechen und abholen, die von unseren jeweiligen Arbeit profitieren.

Mögen wir beide glücklich sein.

Von Wegen Faires Spiel! Worum’s bei der Fair Play Charta wirklich geht

Sie sind wie ein Spiegel der Gesellschaft, nur etwas klarer und mit mehr Glanz: Die Olympischen Spiele in Paris zeigen, wie ein faires Miteinander über kulturelle Unterschiede und nationale Grenzen hinweg möglich ist. Die Fair Play Charta legt dafür den Grundstein, geht aber über die Spiele hinaus. Ich bin davon überzeugt, dass wir viel davon lernen können!

Natürlich gibt es aus guten Gründen auch kritische Stimmen, wenn es um Dopingverdachtsfälle oder mangelnde Nachhaltigkeit geht. Aber sich friedlich zu begegnen und nach klaren Regeln in einen fairen Wettbewerb zu treten, hat in Zeiten von Fake News und Kriegen durchaus Nachahmungspotenzial.

Was also können wir, die wir nicht zufällig zu sportlichen Höchstleistungen antreten, von diesem fairen Spiel lernen? Was sehen wir in diesem olympischen Ausschnitt der Gesellschaft, der auch auf andere Bereiche übertragbar ist? Und was hat das alles mit Empathie und Fehlerkultur zu tun?

Schauen wir uns das Ganze genauer an!


Aus der Geschichte: von Regeln zur Lebensphilosophie

Der internationale Sportverband Panthalon wurde 1951 gegründet und hat die so genannte Fair Play Charta veröffentlicht. Inhaltlich beschreibt sie zehn Grundsätze, zu denen sich eine Person verpflichtet, welche Rolle sie auch im Sport spiele (“und sei es die eines Zuschauers”).

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen gibt es ähnliche Prinzipien, die auf den französischen Pädagogen, Historiker und Sportfunktionär Pierre de Coubertin zurückgehen (drei Mal unnützes Wissen über ihn findest du am Ende des Artikels). Er setzte sich maßgeblich für die Wiederbelebung der Olympischen Spiele ein und gründete 1894 das Internationale Olympische Komitee.

Der so genannte Olympismus, der heute in der Olympischen Charta verankert ist, wird beschrieben als “Lebensphilosophie, die in ausgewogener Ganzheit die Eigenschaften von Körper, Wille und Geist miteinander vereint und überhöht”.

Ziel sei es, [durch] “die Verbindung des Sports mit Kultur und Bildung (…) einen Lebensstil zu schaffen, der auf der Freude an Leistung, auf dem erzieherischen Wert des guten Beispiels, der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit sowie auf der Achtung universell gültiger fundamentaler moralischer Prinzipien aufbaut”.

Word.


Eigenverantwortung: Selbstverpflichtung statt Gesetze

Weder die Fair Play Charta noch die olympischen Grundprinzipien sind Regeln oder gar Gesetze “von oben”, sondern Leitlinien, die auf einer Selbstverpflichtung beruhen.

Die Fair Play Charta bringt es auf den Punkt: “Welche Rolle ich auch immer im Sport spiele, und sei es die eines Zuschauers, ich verpflichte mich…”. Ich (selbst) verpflichte mich (eigenständig, ohne Druck von außen). Für mich ein klarer Appell an unsere (Eigen-)Verantwortung.

Es geht um eine freiwillige Selbstverpflichtung, nicht um eine gesetzliche Verpflichtung. Das dahinter stehende Prinzip wird dem Menschenbild gerecht, in dem Viktor Frankl uns als “verantwortliche und entscheidende Wesen” beschrieben hat. Konkret: Wir werden nicht von außen bestimmt (durch das Universum, die Gesetze, … welche Kräfte auch immer), sondern wir nehmen unsere Verantwortung wahr und treffen unsere Entscheidungen selbst.

Was wäre, wenn wir in Organisationen eine ähnliche Selbstverpflichtung hätten? Eine Selbstverpflichtung, den “Code of Conduct” umzusetzen und danach zu handeln, ohne Drohungen und Sanktionen, sondern weil es in unserer Verantwortung liegt?

Ich bin sicher: Sie würde mehr Klarheit über implizite Annahmen bringen, die längst explizit gemacht werden müssten.


Fair Play, mehr als nur ein Spiel | MEANING + More

Fair Play, mehr als nur ein Spiel | MEANING + More

Fair Play bedeutet Fair Mindset

Fair Play ist in erster Linie eine Frage der inneren Einstellung und nicht des äußeren Verhaltens. Sowohl in der Charta als auch in den Olympischen Prinzipien wird deutlich, dass es im Wesentlichen um eine Haltung geht. Es geht also weniger um Instrumente, Werkzeuge, Strategien nach außen, sondern vielmehr um die innere Einstellung und Haltung. (Anmerkung: in unserem Buch Wege Agiler Führung – mit Sinn haben wir hierfür die Begriffe agile doing und agile being eingeführt)

Es geht darum, sowohl “beim Sieg als auch bei der Niederlage Würde zu bewahren” (Fair Play). Und es geht darum, “den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist” (Prinzipien des Olympismus).

Was wir hier auch sehen: Der Sport wird in den Dienst der Gesellschaft gestellt, nicht umgekehrt. Es geht also um einen Beitrag zu etwas, das größer ist als wir selbst. Logotherapeutisch gesprochen geht es um das Thema der Selbsttranszendenz, indem wir uns auf etwas einlassen, das über uns selbst hinausgeht und viel weiter reicht.


Fair heißt mitfühlend – mit uns selbst und mit anderen

“Ich verpflichte mich… Die Entscheidungen der Schiedsrichter oder Wettkampfrichter zu akzeptieren, da ich weiss, dass sie wie ich das Recht haben, einen Irrtum zu begehen, aber ihr Möglichstes tun, um dies zu vermeiden.” (Fair Play Charta) Allein in diesem Punkt kann ich tiefere Aspekte des Fair Play entdecken.

  • Positive Grundhaltung: Ich erkenne an, dass die andere Person ihr Bestes gibt, um ihre Rolle auszufüllen; ich gehe vom Guten aus und bereite so den Boden für das Wertvolle.
  • Akzeptanz: Die Entscheidung (des Schieds- oder Wettkampfrichters) zu akzeptieren bedeutet auch, das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Logotherapeutisch sprechen wir hier von einem schicksalhaften Bereich (im Gegensatz zu einem freien Bereich, den ich aktiv beeinflussen kann).
  • (Selbst-)Mitgefühl: Ich bin mir bewusst, dass Menschen fehlbar sind. Wer hätte das gedacht? Und das schließt alle anderen ebenso ein wie mich selbst. Implizit kommt hier das Bestreben zum Ausdruck, mir selbst und anderen mit Wohlwollen zu begegnen, wie es ein guter Freund tun würde.

Fair meint auch Bewusst-Sein

Das Konzept des Selbstmitgefühls von Kristin Neff passt erstaunlich gut dazu. Die amerikanische Psychologin hat drei Komponenten des Selbstmitgefühls identifiziert:

  1. Freundlichkeit sich selbst gegenüber: Sich selbst gegenüber freundlich und fürsorglich sein. Sich selbst wie einen guten Freund behandeln. Mein Verständnis ist: Wir sehen, dass die innere Haltung des Respekts bei uns selbst beginnt – und wir können sie dann auf andere übertragen. Der wohlwollende Umgang mit uns selbst spiegelt eine positive Grundhaltung wider, die sich dann auch auf andere überträgt.
  2. Achtsamkeit: Gedanken und Gefühlen mit Achtsamkeit begegnen, d.h. die eigene Aufmerksamkeit auf das richten, was ist, und es anerkennen. Also nicht abzuwerten oder zu verurteilen, nicht zu dramatisieren, aber auch nicht zu ignorieren. Stichwort Akzeptanz, siehe oben.
  3. Verbundenheit mit allen Menschen: Anerkennen, dass Leid oder Schmerz eine Erfahrung ist, die alle Menschen teilen. In schwierigen Situationen daran denken, dass man mit dieser Erfahrung nicht allein ist. Ich bin mir sicher: Gerade bei Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen geben alle ihr Bestes und jeder hat schon einmal eine schmerzhafte Erfahrung gemacht oder eine Niederlage erlitten (wenn nicht direkt im Sport, dann mindestens im Leben). Diese Erfahrung verbindet uns.

🎊 Das Leben? Ein Fest!

“Ich verpflichte mich… Unabhängig vom Einsatz und von der Härte des Wettkampfes aus jeder Sportveranstaltung einen besonderen Moment, eine Art Fest zu machen.” (Fair Play Charta)

Im Duden ist “Fest” definiert als “[größere] gesellschaftliche Veranstaltung [in glanzvollem Rahmen]”. Umgangssprachlich verstehen wir darunter oft auch Vergnügen oder Freude. Mein persönliches Verständnis ist das Zusammenkommen von Menschen, um etwas Besonderes zu feiern.

Wie auch immer: Wie wäre es, wenn wir diesen Glanz, diese Freude, diese Feierlichkeit immer wieder zum Maßstab unseres Alltags machen würden?

Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder von uns geboren wird, ist äußerst gering. Das sollte Grund genug sein, das Leben zu feiern, wie schwer es auch sein mag. Natürlich erscheint es unangemessen, kurz nach einer Kündigung oder dem Bekanntwerden einer schweren Krankheit in Feierlaune zu verfallen, logisch.

Aber es scheint mir eine gute Idee zu sein, gerade im Alltag ab und zu die Freude und das Vergnügen, mit anderen zusammen zu sein, bewusst zu feiern. Oder sich wieder einmal bewusst zu machen, dass es nicht selbstverständlich ist, in Frieden zu leben. Oder die schier unwahrscheinliche Tatsache zu feiern, dass gerade wir am Leben sind.

Wie würde sich unser Grundgefühl verändern, wenn wir dem Alltag mit der Haltung begegnen würden, aus jedem Erlebnis einen besonderen Moment, eine Art Fest zu machen? Selbst wenn das nur in einem Teil der Fälle gelingt, wäre das nicht schon ein Gewinn für uns und unsere Mitmenschen, die mit uns feiern könnten?


🎯 Mehr als nur ein Spiel!

Die Fair Play Charta zeigt uns, dass Fair Play nicht nur im Sport, sondern auch im täglichen Leben von zentraler Bedeutung ist. Sie fordert uns auf, Verantwortung zu übernehmen und stets fair zu handeln.

Dabei geht es um mehr als nur Regeln – es geht um unsere innere Einstellung und Haltung. Wenn wir beginnen, diese Prinzipien in unserem Alltag umzusetzen, können wir eine positive Veränderung in unserer Gesellschaft bewirken.

Stellen wir uns vor, wir würden jeden Augenblick unseres Lebens zu einem Fest machen, mit Respekt und Mitgefühl für uns selbst und für andere. Das ist eine Herausforderung, aber die Belohnung ein harmonischeres und erfüllteres Leben – ist es wert.

Lassen wir uns von der Fair Play Charta inspirieren, nicht nur für den Sport, sondern als Leitlinie für ein friedlicheres und respektvolleres Miteinander!


P.S. Unnützes Wissen zu Coubertin – das nachdenklich stimmt

Hier noch drei interessante (aka überraschende, teils schockierende) Fakten rund um Coubertin, über die ich in meiner Recherche gestoßen bin.

  • Athen statt Paris: Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit fanden 1896 in Athen statt – gegen Coubertins Willen. Er wollte die ersten Spiele in seine Heimatstadt Paris holen. Das IOC entschied sich jedoch für Athen, in Anlehnung an die antiken Spiele. Coubertin hätte wohl seine wahre Freude an den diesjährigen Spielen in Paris gehabt.
  • Kunst war olympisch! Von 1912 bis 1948 gab es auch Kunstwettbewerbe bei den Olympischen Spielen. Diese wurden in den Bereichen Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei ausgetragen. Alle Kunstwerke mussten dabei einen Bezug zum Sport aufweisen. Coubertin selbst wurde 1912 unter einem Pseudonym Olympiasieger der Disziplin Literatur. Was wäre, wenn Kunst wieder olympisch würde?
  • Männer als bessere Athleten? Nicht! Nach Coubertins olympischem Idealbild sollten nur erwachsene, männliche Einzelkämpfer teilnehmen, ähnlich dem antiken Vorbild. Frauen von der Teilnahme an den Spielen auszuschließen, konnte er auf Dauer nicht durchsetzen. Ein Glück!

Vom Analphabeten zum Superhelden

Wir alle haben Gefühle, jeden Tag und jede Minute – doch die meisten von uns haben nie gelernt, gut mit ihnen umzugehen.

Während wir in der Schule Mathe und Deutsch gelernt haben, sind wir in Gefühlsdingen oft Analphabeten geblieben. Dabei liegt gerade hier eine unglaubliche Kraft, die wir uns im Alltag zunutze machen können: unsere Superpower Emotionen!


Emotionen, die unsichtbare Superpower

Indem wir unsere Gefühle wahrnehmen und benennen können, lernen wir besser mit ihnen umzugehen. Ein besserer Zugang zu unseren Gefühlen führt zu mehr Ruhe, Klarheit und Balance im Alltag erlangen. Sie sind eine wahre Superpower. Wir selbst können zu Superhelden unseres Lebens werden.

Doch was hilft uns dabei, das emotionale ABC zu lernen? Und wie können wir unsere emotionalen Superkräfte ohne großen Zeitaufwand im Alltag trainieren? Die Wissenschaft gibt Antworten. Und meine praktische Arbeit mit Klienten gibt weitere Impulse.


Innere Stärke durch Gefühle: Wunsch oder Realität?

Wir alle erleben Gefühle, jeden Tag aufs Neue. Einerseits gibt es Gefühle wie Freude, Liebe oder auch Überraschung, die uns geradezu beflügeln können. Andererseits gibt es Gefühle wie Wut oder Trauer, die den meisten von uns unangenehm sind. Manchmal können sie uns sogar überwältigen und wir sind außer uns.

Ein besserer Umgang mit all diesen Gefühlen kann uns helfen, mehr Klarheit und Ruhe in unseren Alltag zu bringen. Außerdem können Emotionen und Gefühle, wenn wir es wagen, auf sie zu hören, eine gute Entscheidungshilfe im Leben sein. Sie sind also eine echte Superkraft. Doch wie können wir mit ihnen umgehen?

Ein altes Sprichwort sagt: „If you can name it, you can tame it“, was so viel bedeutet wie: „Wenn du es benennen kannst, kannst du es auch zähmen“.

Das klingt erstmal einfach. Gleichzeitig haben die wenigsten von uns wirklich gelernt, Gefühle zu erkennen, geschweige denn, sie zu benennen.

Die schlechte Nachricht: Wir sind sozusagen „emotionale Analphabeten“. Was uns fehlt, ist die sogenannte „emotionale Alphabetisierung“. Die gute Nachricht: Genau wie Rechnen, Lesen und Schreiben können wir auch lernen, mit Gefühlen und Emotionen besser umzugehen. Und so zu Superhelden werden.


🧭 Aus der Praxis: Gefühle erkennen und benennen

Gefühle zu begreifen ist nicht immer einfach: Zum einen fehlt uns oft das Vokabular, das merke ich oft in der Arbeit mit Klienten. Zum anderen ist es oft mit der Erkenntnis und dem Zulassen verbunden, z.B. einen bestimmten Schmerz zu empfinden.

Nur: Ohne die Gefühle zuzulassen, können wir sie nicht hinter uns lassen. Im Gegenteil: Je mehr wir versuchen, sie zu verdrängen, desto stärker kommen sie zurück.

Das ist die Ironie des Verdrängens. Es fühlt sich so an, als verleihe es Kontrolle, dabei verlieren wir sie dabei. Erstens bestimmen unsere Gefühle, wo es langgeht. Und zweitens tauchen verdrängte Gefühle unweigerlich in unbeabsichtigter Weise wieder auf. Diesen Prozess nennen Psychologen emotionales Überlaufen.

– Susan David, Emotional Agility (auch auf Deutsch erhältlich)


Gefühle im Fokus: Der Wasserball-Effekt

Mir kommt dabei oft das Bild eines Wasserballs in den Sinn, den man unter die Wasseroberfläche drücken will. Je mehr man es versucht, desto größer wird der Druck. Und desto mehr Aufmerksamkeit und Energie wird gebunden, die für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung steht. Wenn wir aber den Wasserball (aka unsere Gefühle) an der Oberfläche schwimmen lassen, d.h. sie anerkennen, wird er bald auftauchen und wir haben den Blick (und die Ressourcen) frei für andere Themen.

Generell hilft es, sich bewusst zu machen:

  • Gefühle sind menschlich und gehören zu unserem Leben dazu.
  • Gefühle nicht zu bewerten ist ein Schlüssel zur Zufriedenheit.
  • Gefühle sind weder gut noch schlecht, sie sind einfach.

Aber wie können wir lernen, sie präzise auszudrücken, ohne ein ganzes Psychologiestudium zu absolvieren?

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Gefühle im Griff: Das Rad unserer Emotionen

Als Grundlage für die Erforschung der eigenen Gefühle dient das “Rad der Gefühle”. Meine Arbeit mit Klienten zeigt, dass es den Blick weitet und inspiriert, die Vielfalt und den jeweiligen Detailgrad der emotionalen Empfindungen überhaupt zu sehen. Diesen Möglichkeitenraum kennen zu lernen bedeutet also, das ABC der Gefühle zu lernen.

Das Rad der Emotionen  ist in drei ineinander greifende Kreise gegliedert.

  • Im inneren Kreis befinden sich die Basisemotionen, von denen man annimmt, dass sie auf der ganzen Welt mehr oder weniger gleich sind (ob es sechs oder sieben sind und wie sie genau heißen, darüber ist sich die Wissenschaft bis heute nicht einig).
  • Daraus ergeben sich – im zweiten Kreis – spezifische Ausprägungen.
  • Im dritten Kreis finden sich schließlich sehr feine Unterscheidungen von Emotionen, die uns helfen, präzise Formulierungen für unsere Empfindungen zu finden.

Umgekehrt funktioniert es übrigens auch: So lässt sich das Gefühl, schüchtern zu sein, in der Regel auf Unsicherheit zurückführen, die wiederum der Basisemotion Angst zugeordnet wird. Die Supermacht der Emotionen hat aber noch weitere Facetten, insbesondere im Hinblick auf das sensible Wahrnehmen und Erkennen.


🔎 Aus der Wissenschaft: Die Sprache/n der Gefühle

Die konkrete Benennung unserer Gefühle hat noch weitere Vorteile. Sprache bedeutet hier auch Identifikation: “man fühlt sich alleine” — man oder Du? Außerdem gibt es einen Unterschied, ob ich sage „Ich bin wütend“ oder „Ich verspüre Wut“. Im ersten Fall identifizieren wir unser ganzes Sein mit dem Gefühl, während wir im zweiten Fall eine temporäre Empfindung beschreiben (und nicht einen Teil von uns selbst).

Interessant ist, dass unsere Sprache tatsächlich helfen kann, ein besseres Verständnis für unsere Empfindungen zu kriegen. Eine wissenschaftliche Studie mit 2.474 Sprachen (!) hat gezeigt: je mehr Sprachen man spricht, desto mehr Empfindungen kann man spüren. Dazu die Autoren der Studie:

Viele menschliche Sprachen verfügen über ein reichhaltiges Vokabular, das sich mit der Kommunikation von Emotionen befasst. Obwohl nicht alle Wörter für Emotionen gebräuchlich sind – das deutsche Wort Sehnsucht bezieht sich auf einen starken Wunsch nach einem anderen Leben und hat keine direkte Übersetzung ins Englische – gibt es viele Wörter, die ähnliche emotionale Zustände in den gesprochenen Sprachen der Welt zu bezeichnen scheinen. Übersetzungswörterbücher legen zum Beispiel nahe, dass das englische Wort love mit dem türkischen Wort sevgi und dem ungarischen Wort szerelem gleichgesetzt werden kann. (eigene Übersetzung)


👉 Drei Schritte zum emotionalen Superhelden

Wie jede Kraft muss auch die Superkraft trainiert werden. Aber das ist viel einfacher, als die meisten von uns denken. Hier sind drei Tipps, um ein echter emotionaler Superheld zu werden.

1. Bewusst machen: Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle.

Sie sind alle Teil unserer Erfahrung und haben ihre Berechtigung. Manche erinnern uns an freudige Erlebnisse wie Geburtstage oder Schulabschlüsse, andere an Sehnsucht oder Bedauern.

2. Wahrnehmen, nicht werten.

Je besser es uns gelingt, unsere Gefühle nicht zu bewerten, desto mehr Gelassenheit und Ruhe werden wir im Alltag erfahren. Die gewonnene Energie können wir dann viel besser für andere Dinge nutzen. Hilfreich für die Wahrnehmung ist unser Körper: Ein sensibles Achten auf seine Reaktionen kann uns gute Anhaltspunkte für Entscheidungen geben. Nicht umsonst sprechen wir oft vom „Bauchgefühl“.

3. Gefühle erkennen und benennen.

Unsere vielseitige Sprache und die damit verbundene Beschreibung von Gefühlen hilft uns, mehr Klarheit zu gewinnen. Das Rad der Gefühle kann dabei eine gute Hilfe sein. Je öfter wir es ausprobieren, desto besser werden wir darin.

Übung macht den Superhelden!

Vergiss‘ den langen Urlaub! So erholst du dich wirklich

Ferienzeiten sind gut und schön, aber wenn wir richtig entspannt, gesund und –  Überraschung – auch produktiv sein wollen, brauchen wir etwas anderes!


Nano-Urlaub statt Fernreise: Wie kleine Pausen deinen (Arbeits-)Alltag verändern

Eine Klarstellung zu Beginn: Urlaub ist großartig, daran besteht kein Zweifel (für mich zumindest). Aber wenn wir dauerhaft entspannt sein wollen, brauchen wir etwas anderes. Und das macht uns sogar produktiver und fördert unsere Gesundheit.

Die Rede ist vom Nano-Urlaub, herkömmlich auch “Pause” genannt. Das sind kleine Momente im Alltag, in denen wir von der Arbeit abschalten und durchatmen. Oder uns bewegen. Oder ein Gespräch führen. Gerade wenn es unser Ziel ist, gesund (und auch produktiv) zu bleiben, sind kurze Erholungsphasen wichtig. Man sollte sie sich gönnen!

Aber warum helfen uns Pausen, wenn sie doch wertvolle Arbeitszeit „stehlen“? Welche Arten von Nano-Urlaub gibt es überhaupt? Und wie kann ich auch meine Chefin davon überzeugen, dass kurze Entspannung zum Erfolg führt?


🧭 Aus der Philosophie: Re-create! Ein humanistischer Blick auf Produktivität

Allgemein gilt: Wer gut, erfolgreich und produktiv sein will, „gibt Gas”, rockt lange Arbeitstage und powert sich aus. Wirklich?

Die Philosophin Hannah Schragmann ist da anderer Meinung. In einem Podcast-Interview prägt sie einen humanistischen Produktivitätsbegriff: Produktiv ist nur, was reproduktiv ist. Soll heißen: Wirklich produktiv, also auch leistungsfähig, ist demnach nur jenes Verhalten, das eine Re-Produktion von Kräften bzw. Arbeitsleistungen zur Folge hat. Dies impliziert auch eine permanente (Re-)Produktion von Ressourcen, die nicht mit dem Erreichen eines Ziels abgeschlossen ist. Im Gegenteil: Je besser wir lernen, unsere Kräfte durch Pausen zu regenerieren, desto leistungsfähiger sind wir auch auf Dauer.

Man könnte auch sagen: Nur wer sich regelmäßig erholt, ist wirklich produktiv.

Nano-Pause statt Fernreise: so erholst du dich wirklich! | MEANING + More

Nano-Pause statt Fernreise: so erholst du dich wirklich! Image: Neslihan A.

Ich kenne das von mir selbst: Manchmal, wenn ich fest stecke, in einem Thema nicht weiterkomme und frustriert den Schreibtisch verlasse, löst sich etwas. Ein neuer Freiraum entsteht. Gerade der (räumliche) Abstand verschafft mir eine neue Perspektive, der gedankliche Block löst sich oft wie von selbst. Was braucht es also, um nicht in eine angespannte Überforderung zu geraten, sondern den Nano-Urlaub systematisch in den Alltag zu integrieren?


🔎 Aus der Wissenschaft: Hustle Culture entlarvt!

Alle wollen mehr, schneller und weiter – immer, typisch Hustle Culture! Die Idee, dass ausgerechnet Pausen, also Nano-Urlaube, uns stärker und leistungsfähiger machen sollen, klingt zu schön, um wahr zu sein! Oder? Fans der Forschung werden sich freuen, denn sie zeigt genau das Gegenteil. Und auch für alle anderen liefern die Studien stichhaltige Argumente, um die eigene Chefin zu überzeugen.

Gezielte Pausen können uns helfen, produktiver und kreativer zu werden. Drei Insights aus der Wissenschaft:

  1. Studienergebnisse zeigen: Ein Grund für die wertvolle Wirkung von Pausen ist, dass unser Gehirn regelmäßig Pausen braucht, um die aufgenommenen Informationen zu verarbeiten, zu verknüpfen und ins Langzeitgedächtnis zu übernehmen.
  2. In einer Metaanalyse konnten die Psychologen um Forscherin Albulescu zeigen, dass Pausen sogar der Schlüssel zur Produktivität sein können. In Experimenten konnte wiederholt gezeigt werden, dass sie die Vitalität steigern und die Müdigkeit reduzieren.
  3. Insbesondere kurze Pausen, auch Mikropausen genannt, zeigen diesen Effekt, den der Psychologe Alejandro Lleras erforscht hat: Schon kurze Ablenkungen von einer Aufgabe können die Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum auf diese Aufgabe zu konzentrieren, drastisch verbessern.

Wenn wir unserem Gehirn (und damit uns insgesamt) etwas Gutes tun wollen, sollten wir also bewusst entspannen – auch und gerade am Arbeitsplatz. Das sollte Führungskräften zu denken geben, denn es ist genau das Gegenteil der weit verbreiteten Hustle Culture.

Nur wer Pausen macht, kann inspiriert weiterarbeiten. Und nur wer Zeit für Zweckloses hat, kann sich und seine Fähigkeiten auf Dauer einbringen. Denn Tätigsein macht vielleicht glücklich, aber nur Muße macht produktiv.

– Ariadne von Schirach, Glücksversuche

Doch wie genau machen wir jetzt Pause und welche Arten von Erholung gibt es überhaupt?


👉 Aus der Praxis: Pause ist gleich Pause? Weit gefehlt!

Vielleicht hattest du auch schon mal einen Moment, in dem du wirklich erschöpft warst, aber ein Nickerchen auf der Couch nichts gebracht hat? Dann war es wahrscheinlich die falsche Art von Erholung, die falsche Art von Pause.

So, wie wir von verschiedenen Dingen, Themen und Menschen gestresst werden können, brauchen wir auch unterschiedliche Arten von Pausen.

Die amerikanische Ärztin Saundra Dalton-Smith begann sich aufgrund eigener Erschöpfungssymptome intensiver mit dem Thema Erholung zu beschäftigen. Durch ihre persönlichen Erfahrungen und die Beobachtung von Menschen, denen sie in ihrer klinischen Praxis und Forschung begegnete, identifizierte sie sieben Arten der Erholung: körperliche, mentale, spirituelle, emotionale, sensorische, soziale und kreative Erholung. Ein Mangel an nur einer dieser Arten von Erholung kann sich negativ auf unsere Gesundheit, unsere Beziehungen und natürlich auch auf unsere Produktivität auswirken.

Sieben Wege zur Erholung: Welche Art von Pause brauchst du wirklich?

  1. Körperliche Erholung: Diese Art der Erholung umfasst sowohl passive Maßnahmen wie Schlaf und Nickerchen als auch aktive Maßnahmen wie Yoga, Stretching und Massage, die helfen, sich zu entspannen und zu regenerieren.
  2. Mentale Erholung: Diese Art der Erholung zielt darauf ab, den Geist zu beruhigen und zu entlasten. Techniken wie Meditation, Pausen während der Arbeit und Aktivitäten, die den Geist entspannen, sind hier hilfreich.
  3. Spirituelle Erholung: Diese Erholung bezieht sich auf das Bedürfnis, dem Leben einen Sinn zu geben. Aktivitäten wie Gebet, Meditation, ehrenamtliche Arbeit und die Verbundenheit mit einer größeren Gemeinschaft oder einem höheren Ziel tragen dazu bei.
  4. Emotionale Erholung: Diese Erholung umfasst das Erkennen und Ausdrücken von Emotionen sowie den Umgang mit emotionalem Stress. Ehrliche Gespräche, das Schreiben eines Tagebuchs und die Suche nach emotionaler Unterstützung sind hier unerlässlich.
  5. Sensorische Erholung: Diese Erholung reduziert die Überlastung der Sinne durch Licht, Lärm und Bildschirme. Maßnahmen wie die Vermeidung von Bildschirmzeit vor dem Schlafengehen und der Aufenthalt in ruhiger, dunkler Umgebung sind hier wichtig.
  6. Kreative Erholung: Diese Form der Erholung fördert die Wiederherstellung der Kreativität durch inspirierende und stimulierende Aktivitäten. Kunstbetrachtung, Naturerlebnisse und kreative Hobbys wie Malen oder Musizieren gehören dazu.
  7. Soziale Erholung: Diese Art der Erholung betont die Bedeutung erfüllender sozialer Interaktionen und Beziehungen. Es geht darum, Zeit mit Menschen zu verbringen, die einen unterstützen und positiv beeinflussen, und weniger mit Menschen, die einem die Energie rauben.

Je nach dem, welchen Belastungen wir im Berufsleben (oder in anderen Lebensbereichen) ausgesetzt sind, kann es sogar kontraproduktiv sein, das berühmte Power Nap zu machen – es kann im Einzelfall eher helfen, sich etwas zu bewegen oder ein Gespräch mit einer Kollegin oder einem guten Freund zu suchen.


Kurze Pausen für langfristigen Erfolg

In einer Welt, die uns ständig zur Höchstleistung antreibt, wirkt die Idee, durch Pausen produktiver zu werden, erst mal paradox. Doch die Wissenschaft gibt uns Recht: Kurze Erholungsmomente, die sogenannten Nano-Urlaube, sind entscheidend für unsere Leistungsfähigkeit und Kreativität. Sie ermöglichen es dir, deine Kräfte regelmäßig zu regenerieren und verhindern so langfristige Erschöpfung und Burnout.

Es ist an der Zeit, die Bedeutung von Pausen zu erkennen und sie aktiv in deinen Alltag einzubauen. Nur so kannst du dein volles Potenzial ausschöpfen und dabei gesund und ausgeglichen bleiben. Je nach dem, auf welche Art du dich gestresst oder erschöpft fühlst, kann eine andere Art von Erholung besonders wirksam sein.

Denk dran: Tätigsein macht glücklich, aber nur Muße macht wirklich produktiv.

Summer Sadness – Und was mir noch nie dabei geholfen hat

Ein Paradox, mindestens drei Erklärungen: von Japan bis Literatur

Es passiert mir jedes Mal. Mit Ansage. Ohne Halt. Spätestens am Tag vor der Abreise.

Manchmal mit einem grumpy mood, manchmal mit ein paar Tränen. Immer mit einem schweren Herzen: die Summer Sadness. So auch dieses Mal, auf dem Rückweg von Skandinavien, nach zwei Wochen Urlaub mit Midsommar-Magie.

Immer, wenn sich eine solche Auszeit dem Ende nähert, werde ich melancholisch. Ich bin traurig, dass die besondere Zeit vorbei ist.

Rationale Geister sagen, man solle sich doch lieber über das freuen, was man erlebt hat, anstatt ihm hinterherzutrauern. Stimmt vielleicht, klappt aber nur bedingt. Dieser Rat ist kognitiv nachvollziehbar, hat mir aber noch nie geholfen.

Dass ich nicht die einzige bin, der es so geht, wird an der Vielfalt der Begrifflichkeiten deutlich, die diese sonderbare Art der Traurigkeit beschreiben.

  • In Japan hat das Phänomen dieser Vergänglichkeit einen eigenen Begriff: mono no aware.
  • Der Autor Benedict Wells hat eine neue Wortkreation dafür geschaffen: Euphancholie.
  • Und die Amerikanerin Susan Cain hat dem Thema gar ein ganzes Buch gewidmet: Bittersweet.

Enjoy the sadness!


🔎 Aus der Praxis: japanische Wehmut

Was bedeutet mono no aware?

Mono no aware ist eine japanische Redewendung für das Bewusstsein der Unbeständigkeit oder Vergänglichkeit der Dinge.

Sie beschreibt einerseits eine vorübergehende sanfte Traurigkeit (oder Wehmut). Andererseits bezeichnet sie auch eine längere, tiefere sanfte Traurigkeit darüber, dass dieser Zustand die Realität des Lebens ist.

Es geht um die Vergänglichkeit der Schönheit, das leise, beschwingte, bittersüße Gefühl, Zeuge des schillernden Zirkus des Lebens gewesen zu sein – in dem Wissen, dass nichts davon von Dauer sein kann.

Die Ästhetik [von mono no aware] liegt in der leisen Freude, die unweigerlich mit der Traurigkeit verbunden ist: die Freude, dass wir die Schönheit eines Menschen oder einer Sache erleben durften, sei sie auch noch so kurzlebig gewesen. – Yasemin Besir, Japan Digest

Wann und wie zeigt sich mono no aware?

Ein besonders prägnantes Beispiel aus Japan ist die Zeit der Kirschblüte: wunderschön, in voller Pracht, Ausdruck der lebendigen Natur. Und gleichzeitig so vergänglich, eben weil die Natur in Kreisläufen existiert und bald alles verblüht sein wird.

Bei unserem Aufenthalt in Schweden war es das besondere Licht und die magische Atmosphäre der langen Tage rund um Midsommar. Das Erlebnis der Feierlichkeiten in “unserem” Dorf haben nur noch einen drauf – wohlwissend, dass jedes Lied und jeder Tanz einmalig in diesem Moment sein würden.


💬 On words

In dem bewegenden Coming-of-Age-Roman Hard Land wird das Gefühl zwischen Berührung, Hingabe einerseits und Wehmut und Trauer andererseits mit einer neuen Wortkreation beschrieben:

So was wie Euphancholie. Einerseits zerreißt’s dich vor Glück, gleichzeitig bist du schwermütig, weil du weißt, dass du was verlierst oder dieser Augenblick mal vorbei sein wird … Dass alles mal vorbei sein wird. Kind sein ist wie einen Ball hochwerfen, Erwachsenwerden ist, wenn er wieder herunterfällt. – Benedict Wells, Hard Land

Der Autor Benedict Wells erklärt seine Wortschöpfung so (und ja, es gibt tatsächlich eine Baseball-Cap mit der Aufschrift Euphancolie..):

Das Wort ist eine Mischung aus ›Euphorie‹ und ›Melancholie‹. Einerseits ist man fast zerrissen vor Glück, aber auch wehmütig, weil der Moment bald vorbeigehen wird; man vermisst ihn schon jetzt.

Generell habe ich es als Jugendlicher oft selbst erlebt, dass man selbst nach schlimmsten Erfahrungen plötzlich in ausgelassenes Gelächter ausbrechen konnte – und umgekehrt. Dieses schnelle, manchmal völlig unlogische Umschlagen der Emotionen hat mich immer fasziniert, alles geschah gleichzeitig. Oder um es mit einem 80s-Song zu sagen: Dancing With Tears In My Eyes.

Wer richtig eintauchen will, dem sei die gleichnamige Playlist Euphancholie von Benedict Wells empfohlen.


 


🔎 Aus der Forschung: Bittersweetness

Die amerikanische Autorin Susan Cain hat dem paradoxen Phänomen sogar ein ganzes Buch gewidmet: Bittersweet – How Sorrow And Longing Make Us Whole. Sie schreibt dazu:

If you’ve ever wondered why you like sad music …

If you find comfort or inspiration in a rainy day …

If you react intensely to music, art, nature, and beauty …

Then you probably identify with the bittersweet state of mind.

Wozu dient Bittersweetness überhaupt?

Susan Cain beschreibt die Frage nach dem bittersüßen erleben (jeweils eigene Übersetzung aus dem Englischen):

Philosophen nennen dies das „Paradoxon der Tragödie“ und rätseln seit Jahrhunderten darüber. Warum freuen wir uns manchmal über den Kummer, während wir den Rest der Zeit alles tun, um ihn zu vermeiden? Jetzt beschäftigen sich auch Psychologen und Neurowissenschaftler mit dieser Frage und haben verschiedene Theorien aufgestellt:

Eine Mondscheinsonate kann für Menschen, die einen Verlust oder eine Depression erleben, therapeutisch sein; sie kann uns helfen, negative Gefühle zu akzeptieren, anstatt sie zu ignorieren oder zu verdrängen; sie kann uns zeigen, dass wir mit unseren Sorgen nicht allein sind.

Wir mögen zum Beispiel keine Listen mit traurigen Wörtern oder Diashows mit traurigen Gesichtern (dies haben Forscher tatsächlich getestet). Was wir lieben, sind elegische Gedichte, nebelumhüllte Küstenstädte, Türme, die durch die Wolken ragen. Mit anderen Worten: Wir mögen Kunstformen, die unsere Sehnsucht nach Vereinigung und nach einer perfekteren und schöneren Welt ausdrücken.

Traurige Musik und melancholische Poesie – jetzt echt?

Kürzlich haben die Neurowissenschaftler Matthew Sachs und Antonio Damasio zusammen mit der Psychologin Assal Habibi die gesamte Forschungsliteratur über traurige Musik ausgewertet. In ihrem Artikel The Pleasures of Sad Music haben sie festgestellt, dass sehnsuchtsvolle Melodien unserem Körper helfen, eine Homöostase zu erreichen – einen Zustand, in dem unsere Emotionen und unsere Physiologie innerhalb eines optimalen Bereichs funktionieren.

Sie liefern Antworten auf die Frage, wie es sein kann, dass das menschliche Überleben von der Vermeidung (!) schmerzhafter Erfahrungen abhängt, der seelische Schmerz aber oft ausdrücklich in der Musik gesucht wird. Es scheint mindestens drei Erklärungen zu geben.

Traurigkeit, die durch Musik hervorgerufen wird, wird als angenehm empfunden:

  1. wenn sie als nicht bedrohlich wahrgenommen wird;
  2. wenn sie ästhetisch ansprechend ist; und
  3. wenn sie psychologische Vorteile wie Stimmungsregulierung und empathische Gefühle hervorruft, z. B. durch die Erinnerung an und das Nachdenken über vergangene Ereignisse.

Vielleicht ist das dein Call, doch mal in die euphancholische Playlist von Benedict Wells einzutauchen…?

In wie fern hat das Bittersüße auch etwas Wertvolles?

Schließlich erinnert uns (mich zumindest), dass dieser euphancholische Zustand auch sein Gutes hat:

Erinnerst du dich an die sprachlichen Ursprünge des Wortes Sehnsucht: Der Ort, an dem du leidest, ist der Ort, an dem du dich sorgst. Du leidest, weil du dich sorgst. Deshalb ist die beste Reaktion auf Schmerz, tiefer in die Sorge einzutauchen.

Es ist oft dort, wo wir den größten Schmerz empfinden, dass unsere Werte besonders sichtbar werden. Das, was uns viel bedeutet, wird verletzt.

In diesem Sinne: never stop yearning, never stop caring.